Bindungsmuster - warum Nähe manchmal kompliziert wird

 

Beziehungsstörungen - Blog der Hypnose und Reiki Praxis Saar Heilpraktiker für Psychotherapie in Saarbrücken, Saarland. Inklusive: Innere Kind Arbeit.

Es gibt Menschen, die wünschen sich Nähe – und ziehen sich zurück, sobald sie entsteht. Andere bleiben, passen sich an, halten aus, obwohl sie innerlich schon längst wissen, dass es vorbei ist. Wieder andere wechseln zwischen beidem oder schwanken zwischen Bindungs- und Verlustängsten. Nach außen wie nach innen wirkt das oft widersprüchlich, dennoch ergibt es für die Betroffenen auf irgendeiner - unbewussten - Ebene einen Sinn.

Was hier wirksam wird, sind in der Regel keine Zufälle, keine „schwierigen Persönlichkeiten“ und auch kein prinzipielles Fehlen von Beziehungsfähigkeit. Häufig handelt es sich um Bindungsmuster, die früh entstanden sind und bis heute unauffällig mitlaufen. Diese Bindungsmuster prägen, wie Nähe erlebt wird, wie Distanz reguliert wird und wie Menschen in Beziehung reagieren – oft schneller, als bewusste Entscheidungen greifen könnten.

Bindung als Grundbedürfnis

Bindung ist kein Luxus, sie ist ein menschliches Grundbedürfnis. Evolutionsbiologisch ist das gut erklärbar: Menschen sind von Geburt an auf andere angewiesen. Ohne Bindung keine Versorgung, keine Sicherheit, kein Überleben. Nähe ist deshalb von Anfang an mit Regulation verbunden – körperlich wie emotional.

Dieses Bedürfnis verschwindet nicht im Erwachsenenalter. Es verändert nur seine Form. Auch später dient Bindung dazu, Stress zu regulieren, Orientierung zu geben und innere Stabilität herzustellen. Wie gut oder wie angespannt das gelingt, hängt stark davon ab, welche Erfahrungen mit Nähe früh gemacht wurden.

Frühe Prägung statt bewusster Entscheidung

Bindung beginnt nicht erst in Partnerschaften. Sie entsteht deutlich früher, lange bevor Sprache oder bewusste Entscheidungen eine Rolle spielen. In den ersten Lebensjahren entwickelt sich ein Grundgefühl dafür, wie Kontakt erlebt wird: ob jemand erreichbar ist, ob Reaktionen verlässlich sind, ob Nähe sich beruhigend oder eher spannungsvoll anfühlt.

Diese frühen Erfahrungen formen innere Orientierungen. Sie entstehen nicht durch Nachdenken, sondern durch Wiederholung. Der Organismus lernt, was zu erwarten ist, und richtet sich darauf ein. Manche Menschen entwickeln ein Vertrauen darin, dass Nähe verfügbar ist. Andere lernen, sich eher selbst zu regulieren oder auf Distanz zu gehen. Wieder andere bleiben dauerhaft wachsam, weil Nähe unberechenbar erlebt wurde.

Diese Prägungen sind keine bewussten Entscheidungen. Sie sind Anpassungen an reale Umstände. Und sie verschwinden nicht einfach, nur weil jemand erwachsen wird.

Was die Bindungsforschung dazu sagt

Die Bindungstheorie geht maßgeblich auf die Arbeit von John Bowlby und Mary Ainsworth zurück. Ihre Forschung zeigte, dass Kinder unterschiedliche Strategien entwickeln, um mit Nähe, Trennung und Wiederkontakt umzugehen. Diese Strategien wurden zunächst im Kindesalter beschrieben, lassen sich jedoch auf eine Art auch im Erwachsenenalter wiederfinden.

In der Forschung wird häufig zwischen sicheren und unsicheren Bindungsmustern unterschieden. Menschen mit einer sicheren Bindung haben in der Regel die Erfahrung gemacht, dass Nähe verfügbar und verlässlich ist. Sie können Nähe zulassen, ohne sich darin zu verlieren, und Distanz aushalten, ohne sie als Bedrohung zu erleben.

Unsichere Bindungsmuster entstehen dort, wo Nähe inkonsistent, überfordernd oder nicht ausreichend verfügbar war.

Klassisch werden dabei vermeidende, ambivalente (ängstlich-ambivalente) und desorganisierte Bindungsmuster beschrieben. Unsicher-vermeidende Bindung zeigt sich häufig darin, dass Nähe schnell als einengend erlebt wird und Distanz bevorzugt wird.

Unsicher-ambivalente Bindung ist oft von einem starken Wunsch nach Nähe geprägt, der gleichzeitig von der Angst begleitet wird, sie wieder zu verlieren. Desorganisierte Bindungsmuster entstehen meist dort, wo Nähe selbst mit Stress oder Angst verbunden war.

Diese Kategorien sollen nicht als Schubladen dienen. Für Forschung und Psychotherapie beschreiben sie erstmal Tendenzen, keine festen Eigenschaften. Viele Menschen zeigen Mischformen oder reagieren je nach Beziehungskontext unterschiedlich - jeder Mensch tickt anders.

Aus Kindern werden Erwachsene

Im Erwachsenenleben zeigen sich Bindungsmuster meist nicht als klar erkennbare „Störung“, sondern als wiederkehrende Dynamiken. Besonders in engen Beziehungen werden sie spürbar, und dann führt der Weg der Betroffenen manchmal zum Therapeuten.

Nähe kann dann gleichzeitig gewünscht und als belastend erlebt werden. Distanz kann entlasten und zugleich Einsamkeit auslösen. Manche Menschen spüren früh eine innere Unruhe, sobald Beziehungen verbindlicher werden. Andere halten sehr lange aus, auch wenn sie sich innerlich zunehmend erschöpft fühlen.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist dabei entscheidend: Das Nervensystem reagiert nicht nur auf die aktuelle Situation, sondern auf gespeicherte Beziehungserfahrungen. Nähe im Heute wird mit Nähe von früher abgeglichen – unbewusst und sehr schnell. Deshalb fühlen sich manche Reaktionen „zu stark“ an, obwohl sie subjektiv vollkommen real sind.

Wie sich Bindungsmuster im Alltag zeigen

Im Alltag zeigen sich Bindungsthemen oft in wiederkehrenden Abläufen, die auf den ersten Blick nichts Besonderes haben. Am Anfang einer Beziehung entsteht Nähe meist leicht: Gespräche fließen, Kontakt entsteht und fühlt sich verbindend an, es gibt Interesse und Offenheit. Mit zunehmender Verbindlichkeit verändert sich jedoch etwas. Rückzug, Gereiztheit oder innere Distanz treten auf, ohne dass es dafür einen klaren äußeren Anlass gibt.

Nähe tut dann weiterhin gut, bleibt aber nicht entspannt. Ein Teil genießt den Kontakt, ein anderer bleibt aufmerksam, angespannt oder innerlich auf Abruf. Nachrichten werden überinterpretiert, Pausen im Kontakt lösen Unruhe aus oder werden selbst aktiv herbeigeführt. Manche Menschen melden sich weniger, andere werden besonders aufmerksam oder anpassungsbereit. Beides dient oft demselben Zweck: innere Spannung zu regulieren.

Konflikte spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Häufig werden sie vermieden, weil sie als bedrohlich oder überfordernd erlebt werden. Stattdessen wird geschluckt, angepasst oder ausgewichen, bis der innere Druck steigt. Oder Konflikte eskalieren schnell, weil bereits viel Spannung im System ist. Danach folgt nicht selten Rückzug, Funkstille oder emotionale Abkühlung, die Tage anhalten kann.

Eigene Bedürfnisse sind dabei oft schwer greifbar. Viele Menschen merken erst spät, dass etwas nicht stimmt. Grenzen werden überschritten, ohne dass es sofort auffällt. Erst körperliche Signale wie Erschöpfung, innere Unruhe, Schlafprobleme oder Gereiztheit machen deutlich, dass zu viel ausgehalten wurde. Bedürfnisse werden dann entweder sehr abrupt eingefordert oder weiterhin ignoriert, was die innere Spannung weiter erhöht.

Auch Trennungen oder bewusster Abstand zeigen typische Bindungsdynamiken. Neben Trauer und Verlust taucht häufig Erleichterung auf. Nicht selten entsteht danach Verwirrung: Wie kann beides gleichzeitig da sein? Diese Gleichzeitigkeit ist ein Hinweis darauf, dass Nähe und Anspannung lange miteinander verknüpft waren.

Viele Menschen sprechen in solchen Situationen nicht von "Bindung". Sie sagen eher, dass Beziehungen viel Energie kosten, dass sie sich selbst aus dem Blick verlieren oder dass sie Abstand brauchen, um wieder klar zu werden. Diese Beschreibungen sind treffend und ehrlich. Sie benennen das erlebte Verhalten und die Folgen im Alltag. Was dabei meist unsichtbar bleibt, sind die inneren Muster, die diese Abläufe steuern – und die oft schon lange vor der aktuellen Beziehung entstanden sind.

Bindungsstörung heißt nicht „kaputt“

Der Begriff Bindungsstörung wirkt schnell defizitär. In der klinischen Psychologie wird er vor allem bei schweren frühen Beziehungsabbrüchen verwendet. Im alltäglichen Sprachgebrauch meint er jedoch meist stabile, früh gelernte Muster im Umgang mit Nähe und Distanz.

Aus heutiger wissenschaftlicher Perspektive gilt Bindung nicht als festgelegt, sondern als veränderbar. Gleichzeitig zeigen Studien, dass Bindungsmuster relativ stabil bleiben, solange sie nicht bewusst wahrgenommen werden. Sie sind Teil der inneren Organisation eines Menschen. Das Nervensystem greift auf sie zurück, weil sie sich einmal bewährt haben.

Diese Muster sind daher kein Ausdruck von Schwäche oder mangelnder Reife. Sie sind funktional entstanden. Dass sie heute manchmal belasten, sagt nichts über ihren ursprünglichen Sinn aus.

Innere-Kind-Arbeit als Perspektive

In der therapeutischen Arbeit zeigt sich häufig, dass Reaktionen in Bindungssituationen ihre Geschichte haben. Innere-Kind-Arbeit beschreibt in diesem Zusammenhang keinen festgelegten Ablauf, sondern einen Zugang zum Thema. Je nach Vorgehen kann dieser über Gespräche, über Wahrnehmung im Hier-und-Jetzt oder auch über das traumasensible Erinnern früherer Situationen erfolgen.

Gemeint sind innere Anteile, die Bindung in einer Zeit gelernt haben, in der noch wenig Wahlmöglichkeiten bestanden. Diese Anteile prägen, wie Nähe erlebt wird, wie schnell Rückzug einsetzt oder wie stark Anpassung wird. Sie wirken oft leise im Hintergrund, beeinflussen aber deutlich, wie Beziehungen heute gestaltet werden.

In unserer Praxis hören wir immer wieder, dass diese Anteile schnell reagieren, oft auch körperlich und direkt. Sie ziehen sich zurück, passen sich an oder halten fest, lange bevor etwas bewusst eingeordnet wird. Im Mittelpunkt steht bei dieser Arbeit nicht die Suche nach Ursachen, sondern das Wahrnehmen dessen, was gerade geschieht. Spannung, Rückzug, Anpassung oder Unruhe werden erkennbar, ohne bewertet oder erklärt werden zu müssen.

Bindung, Neurobiologie und Regulation

Neurowissenschaftliche Forschung zeigt, dass Bindung eng mit der Regulation des Nervensystems verbunden ist. Nähe kann beruhigen, aber auch aktivieren. Distanz kann entlasten, aber ebenso Stress auslösen. Welche Reaktion überwiegt, hängt stark von frühen Beziehungserfahrungen ab.

Bindungsmuster sind deshalb nicht nur psychologisch, sondern auch körperlich verankert. Sie zeigen sich in Atmung, Muskelspannung, innerer Unruhe oder Rückzug. Das erklärt, warum das Verstehen dessen, was da abläuft, oft nicht ausreicht, und warum Veränderung eher über neue Erfahrungen von Kontakt und Regulation entsteht als über Erklärungen.

Zwischen Automatismus und bewusster Wahrnehmung

Bindungsmuster lassen sich gut mit einer sehr schnellen App im Hintergrund vergleichen. Sie startet oft automatisch, lange bevor Gedanken, Gefühle oder Verhalten bewusst werden. Und sie beeinflusst, wie Nähe oder Distanz erlebt werden. Manchmal übernimmt sie die Steuerung so unauffällig, dass erst im Nachhinein klar wird, was eigentlich passiert ist.

Diese App wahrzunehmen, wenn sie aktiv wird, verändert den Umgang damit. Reaktionen müssen dann nicht sofort zwangsläufig unterdrückt oder „normalisiert“ werden, aber sie laufen auch nicht mehr vollständig automatisch ab, nicht mehr so, „als ob da etwas einfach so passiert“. Dadurch wird der Kontakt im Alltag oft ruhiger und klarer – ohne Drama, aber auch ohne den Anspruch, sich oder andere optimieren zu müssen.

Herzlich

Niritya und Tom 

 

 

Die Autoren dieses Artikels: Thomas Wilhelm und Niritya Speicher-Wilhelm, beide Heilpraktiker für Psychotherapie in eigener Praxis in Saarbrücken und Mitglied im Verband freier Psychotherapeuten, Heilpraktiker für Psychotherapie und psychologischer Berater e.V. 

Qualifikationen: Beide haben eine insgesamt vierjährige Ausbildung in Gesprächstherapie nach Carl Rogers, Gestalttherapie nach Fritz Perls und Transpersonaler Gestalttherapie bei Dr.rer.soc. Rajan Roth und Dipl.Ing. Deva Prem Kreidler-Roth (Köln und Stuttgart) absolviert. 

Thomas hat zudem eine Ausbildung in tiefenpsychologischer Hypnose, Niritya ist auch Reiki- und Meditationslehrerin. 

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